Einsickerung von Grundwasser: Liegt eine „Überschwemmung” auch dann vor, wenn das Hochwasser durch die Kellerwand einsickert?
Viele Versicherungen lehnen eine Schadensregulierung von Hochwasser- und Überschwemmungsschäden mit dem Hinweis auf einsickerndes Grundwasser ab: Sie behaupten, die Schäden seien durch Einsickerungen entstanden. Sie berufen sich hierbei auf ein älteres Urteil des OLG Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof hat diesen Argumentationen mit seinem Urteil vom 20. 4. 2005 jedenfalls für den Fall ein Ende bereitet, wenn etwaige Einsickerungen unmittelbar auf Überschwemmungen zurückzuführen sind.
Zugleich bestätigt das Urteil jedoch auch, dass es zentral auf die Auslegung des individuellen Versicherungsvertrags ankommt.
Viele Versicherungen lehnen eine Schadensregulierung von Hochwasser- und Überschwemmungsschäden mit dem Hinweis auf einsickerndes Grundwasser ab: Sie behaupten, die Schäden seien durch Einsickerungen entstanden. Sie berufen sich hierbei auf ein älteres Urteil des OLG Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof hat diesen Argumentationen mit seinem Urteil vom 20. 4. 2005 jedenfalls für den Fall ein Ende bereitet, wenn etwaige Einsickerungen unmittelbar auf Überschwemmungen zurückzuführen sind.
Zugleich bestätigt das Urteil jedoch auch, dass es zentral auf die Auslegung des individuellen Versicherungsvertrags ankommt.
Folgender Sachverhalt lag zugrunde:
Die klagenden Versicherungsnehmer begehren Ersatz für Überschwemmungsschäden in Höhe von 13880,89 Euro aus einer Wohngebäudeversicherung, die sie bei der beklagten Versicherung für ihr Haus auf dem am W-See gelegenen Grundstück „zum gleitenden Neuwert gegen Schäden durch Feuer, Leitungswasser, Sturm/Hagel und Elementarschäden” abgeschlossen haben. Dem Versicherungsvertrag liegen „Allgemeine Wohngebäude-Versicherungsbedingungen” (im folgenden: VGB) und „Besondere Bedingungen für die Versicherung weiterer Elementarschäden in der Wohngebäudeversicherung” (im folgenden: BEW) der Versicherung zu Grunde. In Bezug auf Überschwemmungsschäden ist in den BEW unter anderem Folgendes bestimmt: „2.1: Wir leisten Entschädigung für versicherte Sachen, die durch 2.1.1 Überschwemmung des Versicherungsgrundstückes (Nr. 3) … zerstört oder beschädigt werden oder infolge eines solchen Ereignisses abhanden kommen. … 3.1: Überschwemmung ist eine Überflutung des Grund und Bodens, auf dem das versicherte Gebäude liegt (Versicherungsgrundstück), durch 3.1.1 Ausuferung von oberirdischen (stehenden oder fließenden) Gewässern; 3.1.2 Witterungsniederschläge.”
Infolge des Pegelanstiegs im Juli/August 2002 breitete sich Wasser des W-Sees auf dem Grundstück der klagenden Versicherungsnehmer in einer Höhe von bis zu 2 m aus. Wegen der Hanglage und der Anschüttung vor der Terrasse in Höhe von weiteren 2 m über dem Pegelhöchststand erreichte der Wasserspiegel die Kelleraußenwand des Gebäudes selbst nicht. In dieser Zeit drang zwischen Bodenplatte und Estrich Wasser in den Keller. Die klagenden Versicherungsnehmer beziffern die ihnen dadurch entstandenen Schäden auf die Klagesumme. Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob es sich um von der Wohngebäudeversicherung erfasste Überschwemmungsschäden handelt. LG und OLG haben das Zahlungsbegehren abgewiesen.
Die klagenden Versicherungsnehmer hatten vor dem BGH Erfolg: Die Revision der klagenden Versicherungsnehmer führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das BerGer.
Urteilsgründe:
I. Das BerGer. hält unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Karlsruhe (NVersZ 2001, 570), einen bedingungsgemäßen Versicherungsfall nicht für gegeben, weil nicht Oberflächenwasser, sondern erdgebundenes Wasser das Gebäude beschädigt habe; dafür bestehe kein Versicherungsschutz. Insoweit könne sich ein Hauseigentümer durch Abdichtung des Hauses gut schützen.
Aus dem Sinn und Zweck der Erweiterung des Versicherungsschutzes auf Elementarschäden und der Abgrenzung zu „Schäden durch Grundwasser”, die soweit nicht anders vereinbart gem. Nr. 6.2.2 VGB vom Versicherungsschutz ausgeschlossen seien, folge, dass zwischen der Beschädigung des Gebäudes und der Überschwemmung des Grundstücks ein unmittelbarer Zusammenhang bestehen müsse. Anderenfalls ergebe sich für den Versicherer ein unkalkulierbares Risiko, da fast jede Veränderung des Oberflächenwassers Auswirkungen auf das Grundwasser habe und damit fast jeder durch erhöhtes Grundwasser verursachte Schaden gleichzeitig als bedingungsgemäßer Überschwemmungsschaden angesehen werden müsste. Zudem könnten Zufälligkeiten des jeweiligen Grundstückzuschnitts nicht für den Versicherungsfall „Überschwemmung” maßgeblich sein.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Im Ansatz zutreffend geht das BerGer. allerdings davon aus, dass in der fraglichen Zeit das Versicherungsgrundstück i.S. der BEW überschwemmt gewesen ist (1). Unzutreffend sind hingegen seine Erwägungen zu den Kausalitätsanforderungen und den dabei zu beachtenden Wasserzuständen (2).
1. Nr. 3.1 BEW verlangt für den Versicherungsfall „Überschwemmung des Versicherungsgrundstücks” gem. Nr. 2.1.1 BEW eine Überflutung des Grund und Bodens, auf dem das versicherte Gebäude liegt, und zwar entweder durch Ausuferung von oberirdischen Gewässern oder durch Witterungsniederschläge. Nach dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ist eine in den Bedingungen nicht näher definierte „Überflutung von Grund und Boden” dann anzunehmen, wenn sich erhebliche Wassermengen auf der Geländeoberfläche ansammeln (Dietz, Wohngebäudeversicherung 2. Aufl., J 4.1; van Bühren/Tiedgens, Hdb. des VersicherungsR, § 4 Rdnr. 97). Das war hier unstreitig der Fall. Das Wasser des W-Sees war über die Ufer getreten, hatte sich auf das gesamte Ufergelände ergossen und dort bis zu einer Höhe von zwei Metern aufgestaut.
2. Die Auffassung des BerGer., die Bekl. sei nicht entschädigungspflichtig, weil nicht Oberflächenwasser, sondern erdgebundenes Wasser in das Gebäude eingedrungen sei und es beschädigt habe, ist nicht tragfähig; sie findet insbesondere in den Versicherungsbedingungen keine Grundlage. Das dafür herangezogene Urteil des OLG Karlsruhe (NVersZ 2001, 570) betrifft zum einen eine nicht vergleichbare Fallgestaltung. Zum anderen gibt die darin vorgenommene begriffliche Unterscheidung zwischen Oberflächen-, Grund- und erdgebundenem Wasser Begriffe, die in den Versicherungsbedingungen der Bekl. für Überschwemmungsschäden nicht aufgenommen sind für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs nichts her. Die beim BerGer. möglicherweise bestehende Vorstellung, dass dem Eintritt von Überflutungswasser in Erdreich – und sei es auch nur in eine künstliche Anschüttung – ein sonst gegebener Ursachenzusammenhang unterbrochen werde, ist mit den in den BEW vorgegebenen Kausalitätsvoraussetzungen nicht zu vereinbaren. Der vom BerGer. für seinen Lösungsweg nachvollziehbar vorausgesetzte qualifizierte Ursachenzusammenhang zwischen der Überschwemmung und dem eingetretenen Schaden in dem Sinne, dass die Überschwemmung unmittelbar zu dem Gebäudeschaden geführt haben muss, beruht auf einer fehlerhaften Auslegung der Versicherungsbedingungen. Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der sich bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbar verfolgten Zwecks und Sinnzusammenhangs darum bemüht, das Bedingungswerk zu erfassen (vgl. BGHZ 84, 268 [272] = NJW 1982, 2776; BGHZ 123, 83 [85] und st. Rspr., NJW 1993, 2369) erschließt sich das vom BerGer. offenbar zu Grunde gelegte Verständnis nicht, dass Ersatz nur dann geleistet werden soll, wenn überflutendes Wasser unmittelbar (oberirdisch) in das Gebäude eindringt.
Dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer, der sich bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbar verfolgten Zwecks und Sinnzusammenhangs darum bemüht, das Bedingungswerk zu erfassen erschließt sich das vom BerGer. offenbar zu Grunde gelegte Verständnis nicht, dass Ersatz nur dann geleistet werden soll, wenn überflutendes Wasser unmittelbar (oberirdisch) in das Gebäude eindringt.
BGH, Urteil vom 20. 4. 2005 – IV ZR 252/03
a) Auch das BerGer. muss zunächst einräumen, dass die Bedingungen der Bekl. für Überschwemmungsschäden anders als etwa für Blitzschlag und Sturm (Nr. 5.2 und 8.2.1 VGB) gerade keine Einschränkung auf einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der versicherten Gefahr „Überschwemmung” und dem Gebäudeschaden enthalten. Nach dem Wortlaut Ausgangspunkt jeder Auslegung fordert Nr. 2.1 BEW nur, dass die versicherten Sachen „durch” eine Überschwemmung beschädigt werden. Damit genügt für den Versicherungsnehmer erkennbar der bloße Ursachenzusammenhang ohne weitere qualifizierende Beschränkungen, um die Ersatzpflicht des Versicherers auszulösen. Aus der Definition der Überschwemmung in Nr. 3.1 BEW kann sich ihm nichts anderes erschließen, weil die Überflutung sich allein auf den Grund und Boden bezieht. Eine Sichtweise, überflutendes Wasser müsse sich unmittelbar auf die beschädigte Sache selbst ausgewirkt haben, wird davon nicht getragen oder auch nur unterstützt.
b) Verstärkt wird diese Einschätzung durch den Blick auf die vom BerGer. selbst angeführten Regelungen anderer Elementarschäden, die das Unmittelbarkeitserfordernis enthalten. So ist beim Blitzschlag ein unmittelbares Auftreffen des Blitzes und beim Sturmschaden eine unmittelbare Einwirkung auf die versicherte Sache erforderlich. Im Umkehrschluss muss sich dem verständigen Versicherungsnehmer geradezu aufdrängen, dass für Überschwemmungsschäden der Versicherer seine Leistungspflicht nicht von einem unmittelbaren Zusammenhang abhängig machen wollte.
Im Umkehrschluss muss sich dem verständigen Versicherungsnehmer geradezu aufdrängen, dass für Überschwemmungsschäden der Versicherer seine Leistungspflicht nicht von einem unmittelbaren Zusammenhang abhängig machen wollte.
BGH, Urteil vom 20. 4. 2005 – IV ZR 252/03
Entgegen der Auffassung des BerGer. lassen sich für den Versicherungsnehmer auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung keine strengeren Anforderungen an den Ursachenzusammenhang ableiten. Der vom BerGer. für seine abweichende Auffassung herangezogene Ausschluss von Grundwasserschäden in Nr. 6.2.2 VGB betrifft die von der Allgemeinen Wohngebäudeversicherung erfasste Gefahr von Schäden durch Leitungswasser. Dieser Versicherungsschutz wird durch den Ausschluss bestimmter in Nr. 6.2.1 bis 6.2.8 aufgezählter Risiken eingeschränkt. Diese Risikoausschlüsse gelten jedoch nur für die versicherte Gefahr, auf die sie sich beziehen; auf andere Gefahrengruppen sind sie nicht (entsprechend) anzuwenden (vgl. Dietz, F. 4). Zudem schließt Nr. 6.2.2 VGB zusätzlich Schäden durch stehende oder fließende Gewässer und Witterungsniederschläge vom Leitungswasserversicherungsschutz aus. Diese sollen aber ihrerseits durch die den Versicherungsschutz auf Überschwemmungsschäden erweiternden BEW gerade gedeckt werden. Angesichts dessen wird ein verständiger Versicherungsnehmer nicht zu dem vom BerGer. gezogenen Schluss kommen können, dass Nr. 6.2.2 VGB der Abgrenzung zum Versicherungsfall „Überschwemmung” dienen, im Ergebnis also dessen Einschränkung bewirken soll.
c) Ob die Überlegungen des BerGer. zu den geophysikalischen Zusammenhängen von Oberflächenwasser und Grundwasser zutreffen, bedarf keiner Erörterung. Darauf und auf die angebliche Abhängigkeit des Versicherungsschutzes von Zufälligkeiten des Grundstückzuschnitts kommt es ebenso wenig an wie auf die von der Bekl. vorgenommene bedenkliche Gleichstellung von Grund- und erdgebundenem Wasser. Das BerGer. hat sich mit dem Rückgriff auf die vom OLG Karlsruhe (NVersZ 2001, 570) eingeführte, für die Kausalitätsfrage allein eher aussagearme begriffliche Abgrenzung frühzeitig den Blick dafür verstellt, dass es nach der Prüfung, ob bedingungsgemäß eine Überschwemmung eingetreten war, nur darum geht, festzustellen, ob die eingetretenen Schäden dadurch herbeigeführt worden sind, mithin adäquate Kausalität gegeben ist. Das ist nach dem unterschiedlichen Vortrag der Parteien noch nicht abschließend zu beurteilen. Während die Kl. behaupten, auf ihrem Grundstück befindliches Wasser des W-Sees sei durch die Kellerwand in den Keller eingedrungen und habe die Schäden verursacht, ist der Vortrag der Bekl. dahin zu verstehen, dass unabhängig von dem überflutenden Seewasser das Grundwasser gestiegen und in das Haus eingedrungen sei. Diesem gegensätzlichen Vorbringen der Parteien wird das BerGer. gegebenenfalls unter sachverständiger Beratung nachzugehen haben, um die gebotenen Feststellungen zum Ursachenzusammenhang treffen zu können. An einer eigenen Entscheidung in der Sache ist der Senat deswegen und wegen der möglicherweise noch festzustellenden Schadenshöhe gehindert.
BGH, Urteil vom 20. 4. 2005 – IV ZR 252/03